Das Licht ging an in ihrem Kopf. Sie war wach. Sie wusste nicht, wie spät es war. Sie wusste jedoch, dass es noch Nacht war.
Ihr linker Arm schlief noch. Sie spürte ihn als dumpfes Etwas neben sich liegen. Sie versuchte, die Finger der linken Hand zu bewegen. „Lass uns schlafen,“ sandten sie ihr als Botschaft. „Nein, ich will euch spüren,“ sandte sie zurück. Sie öffnete und schloss langsam die Hand. Einmal, zweimal, dreimal. Ihr Arm reagierte widerwillig. Der Schmerz kam. Ein Schmerz, als wäre ihr Arm von einer eisernen Jungfrau umschlossen, die ihre Dornen in ihr Fleisch versenkte.
Weiter. Hand öffnen, Hand schließen. Arm heben, Arm senken. Wie lange ging das so? Ihr Arm hatte tief geschlafen. Dem Sterben näher als dem Leben. „Vermutlich wird er mir vorausgehen, wenn mal die Zeit für mich gekommen ist. Er übt schonmal, wie es sich anfühlt.“ – „Was sind denn das für morbide Gedanken?“
Ablenken. Hand öffnen, Hand schließen. Lauschen. Was hatte sie geweckt? Jetzt hörte sie den Wind. Es war der Westwind, der sich gegen das Haus warf und Regen an die Fassade schleuderte. Sich kurz zurückzog. Anlauf nahm. Wieder zuschlug. Wütend ob des Hindernisses. Eine Geräuschkulisse, bei der sie unmöglich wieder einschlafen konnte.
Wie lange noch, bis der Wecker losgeht? Sie könnte nachschauen. Doch sie befürchtete, dass sie erst recht nicht mehr würde einschlafen können, wenn sie jetzt das Licht anmachte. Also weiter im Dunkeln liegen und auf die Rückkehr des Schlafs warten. Dem Wind und dem Regen lauschen. Hand öffnen, Hand schließen.
Der Arm war inzwischen wach. Gut. Er fühlte sich jedoch fremd an. Als wolle er nicht zu ihr gehören. Egal. Jetzt, da er wach war, spürte sie etwas Anderes: Sie musste pinkeln. Sie hatte aber keine Lust, aufzustehen. Das würde sie dem Schlaf noch mehr entreißen.
Wie lange noch, bis der Wecker losgeht? Sie drehte sich um, so dass sie auf der rechten Körperseite lag. Ein paar Minuten später drehte sie sich auf den Rücken. Sie wagte es nicht, sich auf die linke Seite zu drehen. Jetzt, da sie gerade ihren linken Arm wiederbelebt hatte. Also wieder nach rechts.
Der Drang zu pinkeln war hartnäckig. Sie wusste, dass es besser wäre, ihm nachzugeben und auf die Toilette zu gehen. Aber sie wollte nicht aufstehen. Nochmal auf den Rücken drehen. Der Wecker geht bestimmt gleich los. Wieviele Minuten sind vergangen?
Der Drang wurde stärker. Er bat nicht mehr; er forderte. „Ach Mist!“ Sie erhob sich langsam. Sie machte kein Licht an. Sie tastete sich am Bett entlang zur Zimmertür, durch den Flur hinüber ins Bad. Dort glimmte ein schwaches rotes Licht von der Decke. Gerade hell genug, um die Toilette zu finden, aber matt genug, um nicht glockenhellwach davon zu werden. Sie setzte sich auf die Toilette und pinkelte. Erleichterung. Sie schaute auf den Funkwecker, der auf dem Handtuchschrank zu ihrer Linken stand. 3:37 Uhr. Noch gut zwei Stunden, bis der Wecker losgehen würde. Nur noch zwei Stunden. „Ich werde mich wie gerädert fühlen,“ dachte sie. Und wieder: „Ach Mist!“ Sie betätigte die Spülung, wusch sich die Hände und tastete sich zurück in ihr Schlafzimmer und ins Bett. Sie schlang die Bettdecke eng um sich und hoffte, dass sie nochmal einschlafen würde.
Als es wieder dunkel wurde in ihrem Kopf, merkte sie es nicht. Auch nicht, dass ihr linker Arm ihr ins Dunkel vorausgegangen war.